Unsere Prognosen für das vergangene Jahr sind weitgehend so eingetreten, wie erwartet. Die Bekämpfung des Missbrauchs von Domain-Namen stand erneut oben auf der Agenda vieler Marktteilnehmer. Nach einigen Jahren der Ignoranz wird die Debatte um die Integration von Web2- und Web3-Domains bei ICANN konstruktiver geführt. Aber wie schauen unsere Prognosen für das Jahr 2024 aus?
Die Krisen des vergangenen Jahres haben zwei wesentliche Entwicklungen ausgelöst: Die zunehmende Verunsicherung der Märkte im zweiten Halbjahr hat dazu geführt, dass sich die Domain-Zuwächse wieder auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit eingependelt haben. Potentielle Gründer:innen wählen angesichts der globalen Unsicherheiten eine sichere berufliche Zukunft in abhängiger Beschäftigung statt in der unsicheren Selbstständigkeit. Beide Effekte führen zu verhalten ansteigenden Domain-Registrierungen. Auch der zunehmende Digitalisierungsdruck kann diese Effekte nicht vollständig kompensieren.
Trotz der anhaltenden Krisen wagen wir unsere Prognosen für das Jahr 2024 und einen Blick in die Zukunft.
1. Prognose: Bekämpfung von DNS-Missbrauch
Der Missbrauch von Domains für kriminelle Aktivitäten ist weiterhin eines der wichtigsten Themen unserer Industrie, auch wenn es nur sehr wenige Akteure in relevantem Maßstab betrifft. Denn viele Stakeholder setzen sich seit vielen Jahren aktiv für die Bekämpfung von DNS-Missbrauch ein. Sie nehmen ihre Verantwortung wahr, umfassende Maßnahmen gegen Missbrauch umzusetzen und diese an Internetnutzer zu kommunizieren. Wie die Branche helfen kann, diesen weiter zu reduzieren, steht bei Registries und Registrare dennoch auf der Aufgabenliste. Seit dem vergangenen Jahr sind neue freiwillige Verpflichtungen der Registries und Registrare in den Verträgen mit ICANN festgeschrieben. Ergänzt werden diese durch weitere Selbstverpflichtungen einzelner Registries, mit denen sie ihre Aktivitäten transparent machen. Beispielsweise veröffentlichen .berlin und .hamburg jährlich Transparenzberichte, aber auch das DNS-Abuse Institute und weitere Branchen-Initiativen gehören dazu. Wie im vergangenen Jahr erwarten wir auch für 2024, dass ICANN seine technische Mission im Blick behält und Debatten zu inhaltlichem Missbrauch an entsprechende Stellen verweist.
2. Prognose: Externe Einflussfaktoren nehmen zu
Die zunehmende Regulierungsfrequenz auf EU-Ebene wie zu NIS‑2, DSA, DMA und KI beobachten wir mit Sorge. Regulierungen werden oftmals in guter Absicht initiiert, um Verbraucherinnen und Verbraucher vor den Gefahren im Internet zu schützen. Leider führen sie nicht unbedingt zu den gewünschten Verbesserungen aus Sicht der Nutzer:innen, sondern legen primär der Branche weitere Regeln auf. Hier ist die gesamte Branche gefordert, „gut gemeint“ durch „gut gemacht“ anhand konkreter Dialoge und Austauschformate zu fördern. Denn ansonsten droht, dass sich Regulierungen fundamental auf Geschäftsmodelle und ‑prozesse auswirken. Damit wäre eine weitere Marktkonsolidierung wahrscheinlich, insbesondere auf dem Registrarmarkt.
Große Teile der Industrie betrachten das Thema Nachhaltigkeit weiterhin als „Orchideenthema“, mit dem sich kein Geld verdienen lässt. Über kurz oder lang werden Vorschriften zur Berichterstattung über Nachhaltigkeit weite Teile der Industrie betreffen. Auch wenn sich heute die Verpflichtung auf wenige große bzw. börsennotierte Player beschränkt, ist eine Ausweitung der Berichtspflichten längst am Horizont.
3. Prognose: Blockchain-Domains & ICANN – ist eine Kooperation denkbar?
Wir sind gespannt, wie die „Blockchain, Web3 & Meta” unsere Branche, Angebote und den Marktansatz beeinflussen werden. Klar ist, dass diese Technologien das Potential haben, unsere Branche erheblich zu beeinflussen. Immerhin fand auf dem ICANN78-Meeting erneut ein Austausch mit Blockchain-Anbietern statt.
Mit der Blockchain-Technologie wird mehr Sicherheit, Auswahl und Applikationen für Domains versprochen. Anbieter wie ENS, Unstoppable Domains und Handshake-Domains bieten Domain-Registrierungen unter zahlreichen bTLDs wie .crypto, .eth und .saas an. Die Domains sind zwar aktuell nur über Browser-Plugins oder andere Wege auflösbar, das tut der Popularität aber keinen Abbruch. Wir gehen davon aus, dass es weiter einen Austausch zwischen ICANN und den neuen Anbietern gibt, auch wenn die Haltung gegenüber den neuen Anbietern bisher sehr zurückhaltend war und ICANN warnte: „nicht DNS-kompatiblen Domains Handshake-Domains könnten die Nutzer in die Irre führen“.
4. Prognose: Prozess für neue Bewerbungsrunde macht Fortschritte
Das SubPro-Implementation Review Team (IRT), in dem wir seit Start aktives Mitglied sind, unterstützt die ICANN-Organisation bei der Umsetzung der Empfehlungen aus dem Abschlussbericht. Dieser war im Rahmen des Prozesses zur Entwicklung von Richtlinien für neue gTLDs entstanden, ebenfalls mit unserer Mitarbeit. Das Ergebnis dieser Umsetzung wird ein aktualisiertes Bewerberhandbuch sein.
Seitdem die Arbeitsgruppe „SubPro IRT“ ihre Arbeit aufgenommen hat, konnten bereits zahlreiche offene Punkte geklärt werden. Dazu gehören u. a. die Themenbereiche „Predictability“, „Applications Assessed in Rounds“, „Conflicts of Interest“, „Applicant Freedom of Expression“, „Universal Acceptance“ und „Reserved Names“.
Aufgrund der Komplexität einiger Themen, dem damit verbundenen Diskussionsbedarf und einhergehenden Abhängigkeiten sieht der Plan aktuell vor, dass das Bewerberhandbuch innerhalb von 15–24 Monaten abgeschlossen werden kann. Wie realistisch dieses Ziel ist, wird sich im Laufe des Jahres 2024 zeigen. Denn einige Themen werden weiterhin kontrovers diskutiert, andere hingegen konnten recht schnell gelöst werden.
5. Geopolitik & Internetregulierung
Bedenklich waren aus unserer Sicht erneut die Forderungen im vergangenen Jahr, Länder oder Top-Level-Domains vom Internet abzuschneiden. Die Gefahr, dass sich einzelne Gemeinschaften aus dem globalen Internet abkoppeln, sehen wir daher als reales Szenario und Bedrohung des offenen und globalen Internet. Auch der neue Konflikt im mittleren Osten hat Begehrlichkeiten hervorgerufen, vom Abschalten der TLD-Zone über ein Wiederherstellen der Internetinfrastruktur in Gaza.
Bei dafür verantwortlichen Organisationen wie ICANN und ISOC sollte daher jede Anstrengung unternommen werden, sämtliche Initiativen hin zu einem technisch oder politisch initiierten Splinternet bzw. Internet-Bifurcation zu verhindern.
6. Nachhaltigkeit @ DNS-Industrie
Nachhaltigkeit geht uns alle an, insbesondere in einer Industrie, die zu einem erheblichen Maße zu dem globalen CO2-Ausstoß beiträgt. Erste Schritte sind immerhin gemacht, durch individuelle Initiativen von Registries wie .berlin, .hamburg und .eco. Auch Brancheninitiativen wie die des eco zu nachhaltigen digitalen Produkten und Dienstleistungen hilft, Aufmerksamkeit für das Thema zu gewinnen. Auch ICANN hat sich mit ersten Aktivitäten zu einer nachhaltig agierenden Organisation verschrieben. Als einer der Vorreiter in Sache nachhaltigen Wirtschaftens in der DNS-Industrie freuen wir uns, unser Wissen mit anderen Marktteilnehmern zu teilen, und so zu einer nachhaltigeren Zukunft unserer Industrie beizutragen.
Unsere Prognosen für das Jahr 2024
Es bleibt spannend, wie die Weltwirtschaftslage und politische Lage unsere Branche in diesme Jahr beeinflussen wird. An dieser Stelle werden wir im kommenden Jahr berichten, welche Prognosen eingetreten sind, und welche Fortschritte unsere Branche erzielen konnte!